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EBT4–10®

Entwicklungspsychologische Beratung und Therapie für Familien mit Kindern von 4 bis 10 Jahren

Die Entwicklungspsychologische Beratung und Therapie für Familien mit Kindern von 4 bis 10 Jahren (EBT4–10®) ist ein bindungsorientiertes Modul in Beratung und Therapie zur Förderung der Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern. Es ist störungsübergreifend für Familien mit Kindern im Vor- und Grundschulalter einsetzbar, auch im Bereich Pflege- und Adoptivfamilien sowie in der Heimerziehung.

Entwicklungspsychologische Beratung und Therapie für Familien mit Kindern von 4 bis 10 Jahren

Die EBT4–10® wurde unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Gabriele Gloger-Tippelt, Prof. Dr. Ute Ziegenhain und Dr. Yonca Izat von einem Team aus Wissenschaftlerinnen und Praktikerinnen gemeinsam entwickelt und erprobt und wird fortlaufend aktualisiert:

  • Prof. Dr. Ute Ziegenhain, Prof. Dr. Gabriele Gloger-Tippelt, Carolin Bestle und Annabel Zwönitzer: Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie
  • Dr. Yonca Izat und Bettine Riess: Vivantes Klinikum Berlin, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
  • Dr. Anne Katrin Künster: Institut Kindheit und Entwicklung
  • Uta Klopfer und Julia Weber: in eigener Praxis tätig

Familien unterstützen und beraten aus der Sicht des Kindes

Ziel ist es, die primären Bezugspersonen für die kindliche Erlebnisperspektive zu sensibilisieren und ihre Mentalisierungsfähigkeit, d.h. ihre Fähigkeit zur Übernahme der kindlichen Perspektive, zu fördern. Über die Verbesserung der Beziehungsqualität wird eine über die übliche Beratung bzw. Behandlung hinausgehende Symptomreduktion angestrebt.

In allen Phasen der Beratung steht das Kind im Mittelpunkt. Die Eltern erfahren mehr über die Entwicklung ihres Kindes, erhalten einen Einblick in sein inneres Erleben und beobachten die Fähigkeiten und Stärken ihres Kindes. Die Lebenssituation, die Wünsche und Befindlichkeiten der Eltern werden im Sinne einer Passung auf die Perspektive des Kindes bezogen. Die Eltern werden in ihrer Elternrolle gestärkt, indem ihre Erziehungsziele und Befürchtungen wahrgenommen und ernst genommen werden.

EBT4–10® – bindungsbasierte Beratung

Zentrale Bestandteile der EBT4–10® sind das Geschichtenergänzungsverfahren zur Bindung (GEV-B) sowie die EBT4–10®-Interaktionsskala. Die Interventionsmethode des Kernmoduls beruht auf einem systematischen Videofeedback kurzer Sequenzen aus beiden Verfahren.

Einsatzbereiche der EBT4-10

Die EBT4–10® ist als Baustein konzipiert, der sich flexibel in unterschiedliche Praxisfelder und Hilfestrukturen integrieren sowie mit anderen Angeboten der Jugend- und Gesundheitshilfe verbinden lässt. Die EBT4–10® kann in verschiedenen u.a. in den folgenden Arbeitsfeldern eingesetzt werden: Erziehungsberatung, Pflegekinderwesen, die Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Frühförderung.

Berufsbegleitende Weiterbildung EBT4–10®

Ziel der Weiterbildung: Die Teilnehmer:innen lernen, Eltern mit Kindern in der mittleren Kindheit kompetent zu beobachten, zu beraten und gemeinsam mit den Eltern Handlungsstrategien zu erarbeiten. So fördern sie eine positive Eltern-Kind-Interaktion und die elterliche Feinfühligkeit.


EBT4–10®-Weiterbildung geeignet für: Mitarbeiter:innen von Einrichtungen und freiberuflich tätige Fachkräfte, die mit (psychisch) belasteten Kindern von 4 bis 10 Jahren und ihren Familien arbeiten, sowohl beratend und therapeutisch als auch klinisch-psychiatrisch, z. B.:

  • (Sozial-)Pädagog:innen
  • Sozialarbeiter:innen
  • Psycholog:innen
  • Ärzt:innen
  • Therapeut:innen

Dauer EBT4–10®-Weiterbildung:

  • 16 Kurstage (4x 4 Tage, entsprechen 128 Unterrichtseinheiten)
  • 90 Unterrichtseinheiten Selbststudium (Fallarbeit und Literaturstudium)
  • Gesamtlaufzeit: ca. 1 Jahr

Inhalte EBT4–10®-Weiterbildung:

Entwicklungspsychologische Grundlagen:

  • Sozial-emotionale und kognitive Entwicklung von Vier- bis Zehnjährigen
  • Bindung in der mittleren Kindheit
  • Exploratives Verfahren zur Erfassung von relevanten Beziehungs- und Bindungsthemen (modifizierte Version des Geschichtenergänzungsverfahrens zur Bindung, GEV-B; Gloger-Tippelt & König, 2016)
  • Verhaltensbeobachtung von Mutter- / Vater-Kind-Interaktionen (EBT4–10®-Interaktionsskala)

Klinische Entwicklungspsychologie:

  • Gewalt und Trauma im Beziehungskontext: transgenerationale Risiken ?

Anwendung der EBT4–10®:

  • Einschätzung der Eltern-Kind-Beziehung
  • Ressourcenorientiertes Videofeedback
  • Entwicklungspsychologische Beratung und Therapie als Prozess, eigene Fälle gemeinsam erarbeiten und supervidieren: Zwischen den 4 Weiterbildungsblöcken arbeiten die Teilnehmenden mit 3 Familien aus ihrem Praxisalltag. Sie werden im Rahmen der Weitbildung diesbezüglich intensiv in und mit der Weiterbildungsgruppe supervidiert, sodass sie zunehmend Handlungskompetenzen in der eigenständigen videogestützten entwicklungspsychologischen Beratung aufbauen.

Implementierung der EBT4–10®:

  • Rechtsgrundlagen
  • Arbeitsfeldanalyse

Selbst- und Fremdeinschätzung der Beraterkompetenz

Hintergrund zur EBT4–10®

Der Bedarf an Interventionen für die Altersgruppe mittlere Kindheit steigt aufgrund der Zunahme an Verhaltensauffälligkeiten vom Vorschul- zum Grundschulalter. Die bisherigen Interventionsansätze fokussieren überwiegend die Behandlung der Kernsymptomatik des Kindes und bieten selten Ansätze zur systematischen Beurteilung und ggf. Förderung der Eltern-Kind-Beziehung, auch wenn diese durch die Erkrankung des Kindes häufig belastet wird und in manchen Fällen sogar ursächlich für die Belastung des Kindes ist. Für die mittlere Kindheit stehen bislang im Vergleich zum Kleinkindalter weniger Ansätze zur Intervention zur Verfügung, die gleichzeitig Eltern und Kinder einbeziehen. Der entwicklungspsychologisch und klinisch orientierte (psychopathologische) Ansatz der Bindungsforschung bietet für entsprechende Fördermaßnahmen einige theoretisch und empirisch fundierte Hinweise. Vor allem leistet er eine Differenzierung der emotionalen Qualität der Beziehung zwischen Kindern und Eltern und bietet somit eine Orientierung über die Dringlichkeit von Unterstützung der betreffenden Familie.

Während der frühen Kindheit vollzieht sich die Entwicklung des Kleinkindes ganz wesentlich im Kontext der Eltern-Kind-Beziehung. Eltern oder relevante Fürsorgepersonen versorgen und betreuen das Kleinkind rundum und gestalten seine Umwelt, indem sie die Vielzahl seiner körperlichen und psychischen Bedürfnisse erkennen, interpretieren und in der Regel auch befriedigen. Insbesondere unterstützen sie es bei der Bewältigung von Stress und der Regulation körperlicher Zustände (wie Hunger/Durst, Müdigkeit oder Überforderung durch Reize) und entsprechender Emotionen (wie Unwohlsein, Ängste, Ärger, Wut), bis das Kind allmählich aufgrund seiner neurologischen und psychosozialen Entwicklung und Sozialisation zu einer Selbstregulation in der Lage ist. Diese enge Wechselseitigkeit macht die Qualität dieser Beziehung zu einem entscheidenden Kriterium für die weitere seelische und gesundheitliche Entwicklung von Kindern.  Bindung bezieht sich auf die spezifische emotionale Qualität der Beziehung zwischen abhängigem Kleinkind und den vertrauten Fürsorgepersonen, die ihm im Idealfall Schutz und Sicherheit bieten. Die Bindung ist zwar biologisch begründet, wird aber durch die Erfahrungen im Umgang sehr individuell gestaltet, so dass sich überdauernde, dynamisch wirksame Muster der Bindungsqualität herausbilden. Sie werden als sichere Bindung, zwei Formen der unsicheren Bindung, und zwar eine vermeidende und eine ambivalente Bindung, sowie einer hoch unsicheren Bindungsdesorganisation beschrieben, je nach methodischem Vorgehen und Lebensalter. Unsicher-organisierte Bindungen stellen in keiner Weise pathologische Bindungen dar, sondern sind Anpassungen an die erfahrene Interaktion mit den Fürsorgepersonen. Bei einer sicheren Bindung hat das Kind „Startvorteile“ für die weitere sozial-emotionale Entwicklung (z.B. von Empathie, Selbstwirksamkeit, sozialen Fähigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen, konstruktiven Konfliktlösungen) und kognitive Entwicklung (wie theory of mind – Fähigkeiten und exekutiven Steuerungsfunktionen wie Belohnungsaufschub, kognitive Flexibilität) bis zu schulischen Kompetenzen. Unterschiede z.B. in Temperament und Persönlichkeit der Kleinkinder oder Eltern, deren Bindungsgeschichte sowie mögliche psychopathologische/traumatisierende Einflüsse oder das Fehlen sozialer Stützsysteme verstärken die besonderen Verletzlichkeiten oder Ressourcen der Eltern-Kind-Dyade und der interindividuell unterschiedlichen Bindungsqualitäten.

Im Rahmen der Bindungsforschung wurde besonders der Beitrag elterlicher Feinfühligkeit im Umgang mit den Kommunikationssignalen des Kindes für die Ausbildung einer sicheren oder unsicheren Bindungsentwicklung zwischen Eltern und Kind belegt. Demnach wird der Stärkung elterlicher Beziehungs- und Erziehungskompetenzen bei Präventions- und Interventionsansätzen im Bereich der Frühen Hilfen zur Förderung einer gelingenden Entwicklung von Kindern eine große Bedeutung beigemessen.

Auch jenseits der frühesten Kindheit konnte die Bedeutung der Feinfühligkeit der primären Bezugsperson sowohl für die Bindungssicherheit, als auch für das Erreichen weiterer Entwicklungsmeilensteine des Kindes nachgewiesen werden. Danach hat feinfühliges Elternverhalten im Vorschulalter einen mindestens ebenso gewichtigen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes wie während des frühen Säuglingsalters.

Während die Bindungsqualität im vorsprachlichen Entwicklungsabschnitt aus dem Bindungsverhalten des Kleinkindes in der standardisierten Beobachtung, der Fremden Situation, nach belastenden Trennungen erfasst wird, ist im Alter von ungefähr vier bis zehn Jahren gemäß den fortgeschrittenen kognitiven, sprachlichen und sozial-kognitiven Fähigkeiten der Kinder die Bindungsrepräsentation bedeutsam. Diese kann mit Hilfe von projektiven, aber standardisiert durchführbaren und auszuwertenden Verfahren wie dem Geschichtenergänzungsverfahren zur Bindung (GEV-B, Gloger-Tippelt & König, 2016, Bretherton, Ridgeway & Cassidy, 1990) erschlossen werden und einen Zugang zur bindungsbezogenen inneren Welt des Kindes schaffen. Ab ungefähr vier Jahren hat das Kind seine Erfahrungen mit Schutz- und Fürsorgeverhalten der Eltern in einem theoretisch postulierten Inneren Arbeitsmodell von Bindung repräsentiert, in dem das eigene Selbst und die erwarteten Verhaltensweisen der Fürsorgepersonen in der Beziehung gespeichert sind. Es wird angenommen, dass in dieses innere Modell von Bindung außer eigenen Erfahrungen auch Wünsche, Phantasien und soziale Kognitionen wie erwartetes Rollenverhalten eingehen. Diesem inneren Arbeitsmodell bzw. der Bindungsrepräsentation kommt eine besondere Bedeutung zu, da es als Prototyp für enge Beziehungen in späterem Alter gilt. Das Bindungsverfahren GEV-B erlaubt es mit Hilfe von systematischen Kodierregeln die oben genannten vier Bindungsmuster zu unterscheiden, eine sichere, zwei organisiert unsichere Bindungen, sowie eine hoch unsichere Bindungsdesorganisation. Eine sichere Bindungsrepräsentation im Vor- und Grundschulalter erwies sich als Schutzfaktor hinsichtlich der Entwicklung von Verhaltensproblemen; Desorganisation in der Bindungsrepräsentation wurde als Risikofaktor für externalisierendes und internalisierendes Problemverhalten nachgewiesen.

Die Bindungsrepräsentation des Kindes ergänzt die oben beschriebene, durch systematische Beobachtungen zur Feinfühligkeit erfasste Qualität der Eltern-Kind-Beziehung um die subjektive Erlebnis- und Vorstellungswelt des Kindes. Damit wird im Rahmen der EBT4–10® die größere Autonomie des Kindes im Vor- und Grundschulalter in der Beziehung zu den Eltern entwicklungspsychologisch angemessenen berücksichtigt.

Quelle: Gloger-Tippelt, G., Ziegenhain, U., Künster, A.K. & Izat, Y. (2014). Entwicklungspsychologische Beziehungstherapie (EBT4–10®) – Ein bindungsorientiertes psychotherapeutisches Modul zur Förderung der Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern im Vor- und Grundschulalter. Psychotherapie Forum, 19, 50-59.